Es wird erzählt, dass im fernen Südindien, wo jahrtausendealte Bräuche regieren, eine Tradition es vermag, die Gemüter zu beleben: Wenn Hochzeitsfeierlichkeiten ihr Ende finden, geleitet man das frisch vermählte Paar hinaus ins Freie, um einen Himmelsglanz zu betrachten.
Ein Doppelsternpärchen, welches in der Himmelsferne thront, zieht dabei die Blicke der zwei auf sich. Denn anders als bei den meisten Doppelsternen, welche in fester Ordnung verweilen, umkreisen sich Arundhati und Vasishtha stets gegenseitig.
So soll das Brautpaar lernen und erkennen, dass Respekt und Unterstützung unabdingbar sind, um gemeinsam ein erfülltes und glückliches Leben zu bestehen.
Viele junge Menschen wissen das heute nicht mehr. Deshalb hat man Traditionen, Bräuche und Rituale entwickelt, damit so etwas nicht in Vergessenheit gerät.
Als das junge Paar Mohini und Sundar heiratete, besser gesagt verheiratet wurde, führte der Zeremonienmeister, also der Priester des örtlichen Tempels, die beiden jungen Leute nach draußen und zeigte ihnen das Sternenpaar am Himmel. So sehr sich die beiden auch anstrengten, sie sahen zwar viele funkelnde Sterne, aber nicht das Doppelsternpärchen. Um den schon müden Pfarrer nicht noch mehr zu belasten, nickten die beiden höflich und versicherten, dass sie sie gesehen hätten. Bekanntlich haben die frisch Vermählten in Südindien eine gewisse Pflicht, um die schönste Nebensache der Welt in die Tat umzusetzen und die Nacht ist kurz nach so einer Hochzeitsfeier.
Aber zuerst die Vorgeschichte. Sundar, der Bräutigam, war von sich selbst überzeugt, dass er geboren wurde, um sich den schönen Künsten zu widmen. Seine Eltern jedoch, die sein Studium in Werbung und Marketing finanzierten, zwangen ihn, einen Job in Europa anzunehmen. Zunächst war er mit dieser Entscheidung nicht glücklich, im Nachhinein war er jedoch zufrieden damit.
Seine Talente als Zeichner und Dichter wurden zwar von seinen Verwandten sehr gelobt. Die Kunst jedoch sei noch nicht reif für seine Werke, lautete die Devise. Eines Tages erhielt er einen eindringlichen Anruf von seinem Thaaimaaman, also dem älteren Bruder seiner Mutter, er möge wegen einer dringenden Familienangelegenheit, die keinen Aufschub dulde, nach Hause kommen. Eine Frage nach dem Warum war zwecklos, so diktierte es die Familientradition.
Kurz nach seiner Ankunft zu Hause ahnte er den Grund und wurde wütend. Er warf seiner älteren Schwester vor, ihm nichts davon erzählt zu haben, obwohl sie sonst eine ausführliche Berichterstatterin war. Er sollte verheiratet werden, die Bilder der jungen Frauen jedoch, die man für ihn ausgesucht hatte, interessierten ihn nicht sonderlich.
Doch eine Bemerkung seiner Mutter ließ ihn aufhorchen. Eines der Mädchen sei eine bekannte Waayadi, also eine, die ihre Meinung sagt und sich nicht so leicht unterordnen lässt. So ein Mädchen wünschte die Mutter ihrem Sohn jedoch nicht. Sie legte das Bild und den Lebenslauf des Mädchens zur Seite in der Hoffnung, dass der Sohn ein anderes Mädchen aussucht.
Sundar bemerkte es jedoch, wurde jetzt erst recht neugierig und sah sich das Foto des Mädchens genauer an. Dieser selbstbewusste, aber irgendwie auch etwas freche Blick, fesselte seine Aufmerksamkeit.
Umso enttäuschter und in seinem männlichen Stolz verletzt reagierte er, als er einige Tage später erfuhr, dass das Mädchen vorerst nicht an einer Heirat interessiert sei. Das alles wollte der Thaaimaaman nicht hören. Er rief Sundar zu sich und teilte ihm mit, dass er die Horoskope, die Gesundheit der Brautfamilie, die finanzielle Stabilität, ihre Stellung in der Gesellschaft, den Verhaltenskodex der Brautleute analysiert habe und dass Sundar sich keine Sorgen zu machen brauche. Ein Treffen und Gespräch mit der Braut war bereits arrangiert.
Sundars Freunde aus der Schulzeit gratulierten, aber Sundar war noch nicht bereit zu heiraten. Dann passierte etwas, was er nicht für möglich gehalten hätte. Bei der ersten Begegnung machte das Mädchen einen enormen Eindruck auf Sundar und sie sagte klar und deutlich, dass sie, genau wie er, noch nicht bereit sei zu heiraten. Sie wolle noch ihren Magister machen und einiges mehr. Aber alles umsonst, denn Sundar war hoffnungslos verliebt. Er redete nur wirren Zeugs, er würde ihr in allem zustimmen, aber die Älteren und Verwandten hätten schon entschieden. Dann erklärte er ihr, dass er ein Künstler sei, gleichzeitig aber auch ein erfolgreicher Marketingmann. Er war dabei, sich als Bräutigam zu bewerben, und schließlich fand eine schöne Hochzeit statt.
In der Hochzeitsnacht scherzte Sundar über die alten Riten und Bräuche, wie zum Beispiel die des gemeinsamen Schauens nach den Doppelsternen. Die zwei Urlaubswochen vergingen wie im Flug und Sundar reiste nach Europa, um eine größere Wohnung zu finden und andere Formalitäten zu erledigen.
Eine Woche später rief er seine Frau aus Europa an, seine Mutter war am Telefon. Als er sie fragte, warum sie ans Telefon gegangen sei, reagierte sie verärgert. Empört beklagte sie sich darüber, dass er sie nicht angerufen habe, dass er nur mit seiner jungen Frau sprechen wolle, und ob dies der Dank dafür sei, dass sie ihn großgezogen habe usw. Nach ihrer Klage hört er, wie seine Frau ihn liebevoll begrüßte und sich nach ihm erkundigte. Es sei alles vorbereitet und sie könne in drei Wochen zu ihm kommen. Dann sagte er leise: „Mohini, stell dir vor, ein befreundeter Astronom hat mir erzählt, dass die Doppelsterne Arundhati und Vasishtha wirklich existieren, sie werden auch Alcor und Mizar genannt“. Mohini verstand zunächst nicht, was ihr Mann ihr voller Euphorie erzählen wollte. Diesmal sprach sie nicht viel, sondern hörte nur zu und freute sich auf ihre Reise ins Familienleben.