die Dolmetscherin

Adèle fühlte die Tränen heiß aufsteigen, als sie in der kühlen, sterilen Luft des Büros stand. Ihre Hände zitterten, als sie sich an Sophies Schreibtisch festhielt, um nicht die Balance zu verlieren. “Sophie, Sie sind seine Sekretärin, sagen Sie mir bitte, warum er mich entlässt“ fragte sie, die Verzweiflung in ihrer Stimme kaum verbergend. Sophies Augen, voll von Mitgefühl, trafen die ihren.

Adèle atmete tief durch und fuhr fort: “Ich bin die beste Dolmetscherin, hat unser Chef oft gesagt“. Ihre Stimme brach, und sie schüttelte den Kopf. “Ich verstehe nicht, liegt es an meinem Alter? Ich habe doch jahrelange Erfahrung in drei Sprachen.”

Die Worte stürzten unaufhaltsam aus ihr heraus, begleitet von Schluchzern. “Wissen Sie, als ich meinen Job in der Bibliothek verlor, dachte ich, dass mir dieser Dolmetscherjob bis zur Rente reichen würde.”

Sophie sagte nichts, aber ihr Blick sprach Bände. Adèle konnte sehen, dass sie auch kämpfte, die richtigen Worte zu finden. Das Schweigen, das zwischen ihnen eintrat, war schwer und unangenehm, ein klaffender Abgrund aus nicht Gesagtem.

Nach einer Weile sprach Sophie leise, als fürchtete sie, jemand könnte sie belauschen, obwohl niemand sonst im Raum war. “Wissen Sie, man sagt, dass Sie beim Dolmetschen emotional werden, dass Sie mehr über das Thema sprechen, als nur das Gesagte zu übersetzen. Sie hätten nicht Ihre persönliche Meinung sagen sollen. Ich denke, das war der Grund, warum der Chef Sie entlassen hat.”

Adèle fühlte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Das war es also. Ihre Leidenschaft, die sie so viele Jahre angetrieben hatte, war jetzt ihr Verhängnis geworden.

Sophie fuhr fort: “Sie bekommen eine gute Abfindung. Vielleicht ist es besser, wenn Sie eine Weile nach Hause fahren, nach Südfrankreich, um über alles nachzudenken und neu anzufangen. Sie sind die beste Dolmetscherin, die ich kenne, und ich bin sicher, dass Sie eine gute Arbeit finden werden. Ich werde mich für Sie einsetzen und Ihnen ein gutes Zeugnis ausstellen.”

Adèle wollte nichts mehr sagen, nichts mehr fragen. Die Worte prallten gegen den Panzer ihrer aufsteigenden Resignation ab. Sie stand auf, nickte und verließ mit gebeugtem Kopf das Büro.

Draußen blendete die Sonne sie für einen Moment, aber sie fühlte keinen Trost in den warmen Strahlen. Ihr Kopf war schwer von Gedanken und Erinnerungen. Ihr Leben, das sie so sorgfältig aufgebaut hatte, zerbrach in ihren Händen.

Doch als sie die Tür ihres kleinen Apartments erreichte, setzte sich ein Gedanke in ihrem Kopf fest. Vielleicht war dies nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang. Vielleicht würde sie in Südfrankreich etwas finden, das sie wieder zum Lächeln brachte. Ein Hoffnungsschimmer, der sich in ihrem Inneren regte, gab ihr die Kraft, den nächsten Schritt zu tun.

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