Manchmal geschehen im Leben seltsame Dinge, die man mit Logik und Verstand nicht erklären kann.
Mein Arzt verordnete mir einen Spaziergang von mindestens drei Kilometern pro Tag.
Da es an diesem Sonntag sehr bewölkt war, wollte ich eigentlich gar nicht.
Aber am Nachmittag kam die Sonne heraus. Der blaue Himmel und Wolken lockten mich zu einem Spaziergang am nahegelegenen Fluss.
Als ich am Ufer entlang ging, sah ich Dutzende von Gänsen mit ihren Jungen im Laufschritt an mir vorbeiziehen.
Plötzlich merken die Gänse, dass ich mich bücke, um sie zu fotografieren, und fangen an, laut zu schnattern. Die Rufe werden lauter und intensiver, einige Gänse beginnen mit den Flügeln zu schlagen.
Das war ein deutliches Warnsignal, sie wollten nicht, dass ich ihnen zu nahe komme oder ihre Jungen bedrohe. Ich blieb stehen und ließ sie in Ruhe.
Am Fluss befindet sich eine Anlegestelle für Ausflugsschiffe und daneben ein öffentlicher Bücherschrank. Hier können Bücher eingestellt oder kostenlos mitgenommen werden. Jedes Mal habe ich interessante Bücher dort gefunden, aber diesmal hat mich keines der Bücher in dem überfüllten Bücherschrank angesprochen.
Dort stand eine ältere Frau, vielleicht ein paar Jahre jünger als ich. Sie stand regungslos vor dem Bücherschrank. Es gab keinen Grund, aber etwas sagte mir, dass ich sie ansprechen sollte. “Wie geht es Ihnen?” fragte ich direkt. Das ist nicht der Satz, den ich benutze, wenn ich mich an Fremde wende. Meistens kommentiere ich etwas über die Bücher oder über die Möglichkeit, Bücher einfach für andere hinzustellen.
Die Frau schaute mich einige Sekunden an und sagte: “Warum fragen Sie?“
Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Spontan antwortete ich: “Ich dachte, ich hätte sie hier schon einmal gesehen”.
Sie räuspert sich und sagte: “Mir geht es nicht gut, ich bin schwer krank”, und macht eine kleine Pause. Ich war schockiert. “Oh, das tut mir leid”, sagte ich.
Sie schaute mir direkt in die Augen und sagte: “Ich betrachte jeden Tag als ein Geschenk”. Sie erzählte mir weiter von ihrem Leben und ihrem ersten Mann.
Sie hatte ihn mit zwanzig kennen gelernt. Er wurde krank und die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Monate. Sie pflegte ihn und machte ihm Mut, und nach einigen Monaten wurde er zum Erstaunen der Ärzte gesund und lebt noch heute. Sie erzählte von ihrer Familie, von ihrem Leben, von allem Möglichen, aber immer mit einem Lächeln im Gesicht. Ich hörte ihr aufmerksam zu.
Da kam ein Mann mittleren Alters am Bücherschrank vorbei und grüßte sie. Es sah aus, als würden sie sich schon kennen. Er hatte eine Bibel in der Hand. Es war ein großes, dickes, braunes Buch und da stand Gutenberg-Bibel drauf. Als ich ihn etwas fragen wollte, als ob er meine Gedanken lesen könnte, sagte er: “Nein, das ist nicht das Original” und grinste.
Dann sprachen wir über die Gutenbergpresse, dass es ein Original in Schweden in der Bibliothek gäbe. Ich wollte den Inhalt sehen, es war in Frakturschrift, aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben.
Der Mann war ein Pfarrer, denn er trug den weißen Kragen. Nachdem der Mann gegangen war, erzählte sie mir, dass sie zwar einer Kirche angehöre, aber keinen Glauben mehr habe, weil sie als Kind sehr streng erzogen worden sei und immer Angst gehabt habe.
Ich war überrascht. “Wie kommen Sie mit Ihrer Situation zurecht?”, fragte ich. Sie antwortete langsam und bedächtig, eine Viertelstunde lang. “Wissen Sie, ich finde Trost in der universellen Kraft, die die Ereignisse lenkt”, sagte sie und drückte damit ihre Bereitschaft aus, ihre Krankheit als Teil ihres Lebensweges zu akzeptieren und anzuerkennen, dass das Leben nicht immer fair oder einfach ist.
Ich verstand, dass diese Akzeptanz ihr ein Gefühl des Friedens vermittelte und es ihr ermöglichte, sich voll und ganz auf das Leben im gegenwärtigen Moment zu konzentrieren.
Dann bewegte sie sich und zeigte, dass sie weitergehen wollte.
Ich wünschte ihr alles Gute und wir verabschiedeten uns.
Das Wetter zwang mich dazu, mich langsam auf den Heimweg zu machen. Auf dem Weg nach Hause ließ ich noch einmal die Begegnung am Bücherschrank Revue passieren. Zuerst konnte ich mir keinen Reim darauf machen. Dann erinnerte ich mich, wie sie sagte, dass eine universelle Kraft alles lenkt. Hatte mich das Universum geschickt, um dieser schwerkranken Frau zuzuhören?
In diesem Fall freue ich mich, dass ich nützlich war. Ich hoffe und wünsche ihr von ganzem Herzen, dass die Natur oder das Universum oder was auch immer sie von ihrer Krankheit heilen oder sie zumindest erträglich machen wird.
War das alles, was ich an diesem Sonntag erlebt habe, nur ein Zufall?
Was sind Zufälle?
In der indischen Philosophie spielt der Begriff Karma eine zentrale Rolle. Karma besagt, dass jede Handlung eine Ursache und eine Wirkung hat. Zufälle werden daher oft als Ergebnis des eigenen Karmas gesehen.
Wer das gesagt hat, weiß ich nicht mehr:
„Zufälle sind Zeichen Gottes, wenn er inkognito bleiben will“.
Das war ein Sonntag, der nicht wie jeder andere war.
Die Bilder sind jedoch eine Leistung der KI.